Montag, 14. Mai 2007

Der Teller im Fluss

Ein Mann kam eines Nachts nach Hause.

Zu seiner Hütte. Einer Blockhütte und seiner Frau. Er war gerade 60 Kilometer durch die Taiga gefahren, umschmeichelt von den äußerst ermüdenden Schatten von Gräsern, kleinen Hügelchen, gähnenden Mooren, Wäldchen und sehr sporadisch auftauchenden kleinen Lichtern, welche von Außenposten aus aufblitzten, die man nach näherer Betrachtung wahrscheinlich nicht der Zivilisation zugeordnet hätte.

Er kam gerade aus der letzten Stadt. Er war betrunken gewesen und hätte eigentlich am Tage zuvor schon um diese Uhrzeit Zuhause sein sollen. Er war irgendwo bei einem Landsmann untergekommen, der ihm gegenüber bis auf die Herkunft keinen Grund ihm zu vertrauen gehabt hatte. Aber so war es eben im Norden.

Er war todmüde und hatte das Gefühl, dass er allein froh war, dass er den langen Heimweg heil überstanden hatte.

Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend näherte er sich der Türe seiner Hütte. Er versuchte sich zu erinnern, welche Zeit die Uhr seines Pick-Ups angezeigt hatte, doch er hatte nicht nachgesehen und musste schätzen..

Ihm fiel dabei lediglich auf, dass es vollkommen zwecklos war. Es war einfach schon zu lange dunkel.

Er schloss mühelos die Tür auf. Die Gemütlichkeit, die der kleine Raum mit dem warmen Ofen für ihn ausstrahlte, fluffte über ihn wie eine Felldecke, die wohltuend schwer auf den müden Gliedern liegt und jede Einschlafzeit sofort halbiert. Er setzte sich auf seinen Sessel, der neben dem Ofen stand, legte die Beine auf den Sitzsack und war sofort weg. Selbstverständlich schlief er wie ein Toter. Sollte er etwas geträumt haben, dann war es wohl nicht mehr als die endlose Fahrt auf dieser endlosen, geraden Straße, über die die Scheinwerfer geglitten waren, erinnern konnte er sich nicht daran. Als er aufwachte, sah er seine Frau von hinten.

Sie stand am Herd und machte offensichtlich gerade Kaffee. Er genoss die Idylle noch einen Moment, bevor er sich bemerkbar machte.

Er dachte, sie würde bestimmt vorbei sein, wenn sie merkte, dass er wach war.

Schließlich stellte sie einen Kaffee auf den Tisch neben ihm und sah ihn freundlich an. Sie sagte nichts.

Sie sah den Kaffee an, dann ihn und zuckte mit den Brauen.

Er entschloss sich nichts zu denken und rappelte sich auf, um einen Schluck von dem gut duftenden Kaffee zu sich zu nehmen.

Ein taubes Gefühl machte sich unter seiner Kopfhaut breit und die Wärme des Kaffees ergoss sich in alle Glieder.

Wie eine Umarmung von innen. Er blickte zu seiner Frau auf, die da nun ihn musternd mit verschränkten Armen stand und liebte sie.

Sie habe die Besorgungen gezählt, erwähnte sie beiläufig. Wo denn die Patronen wären, fragte sie ohne Umschweife.

Sie wären aus gewesen, erklärte er unbeholfen und wirkte dabei nicht sehr glaubhaft. Was sie kochen solle, was sie aufhängen solle?

Was sie denn zum Geier außer Kartoffeln fressen sollten, schrie sie!

Nahm den Kaffee und warf ihn an die Wand. Dass der Tasseninhalt quer durchs Zimmer spritzte.

Da stand er auf und schlug sie! Eine Rückhand, die sich gewaschen hatte. Sie fiel um. Ihr Kopf verfehlte nur knapp die Tischkante.

Dann lag sie nur noch weinend da und er stand da und begriff nicht, was er da getan hatte. Eine Schelle schallte durchs Zimmer,

als er sich selbst die flache Hand ins Gesicht schlug. Sie schaute kurz auf und lachte hysterisch, bevor die Verzweiflung sie wieder übermannte und sie zitternd dem nächsten Heulkrampf unterlag. Er warf sich auf sie, umschloss sie mit den Armen, als ob er

versuchte, sie vor der Situation zu beschützen.

Sie wehrte sich nur kurz.

Er gehe jetzt angeln, flüsterte er, als sie beide später wie zwei vergessene Teebeutel auf der Sitzecke verteilt lagen.

Stumpf starrte sie vor sich hin.

Nachdem er sich umgezogen hatte, holte er einen großen, ovalen Teller aus der Küche und hielt ihn ihr vor die Nase.

"Heute Abend liegt für uns auf diesem Teller der beste Fisch, den wir jemals hatten", versprach er fröhlich. Doch sie saß da und brütete etwas aus.

Während er an ein zugegeben mageres Essen mit seiner Frau bei Kerzenschein dachte,

sah sie nur ihre Jugend an sich vorüber ziehen und fragte sich, wie sie an diesen Kerl geraten war. Was sie alles auf sich genommen hatte, um mit ihm jetzt hier zu sein. Ob sie an einen Weg ohne Entbehrungen glaubte, weiß ich nicht zu berichten.

Frauen, die etwas ausbrüten, verwirrten ihn nur und waren für ihn nicht zu durchschauen.

Als er am Fluss ankam, war es Nacht. Wie es schon seit Wochen Nacht war. Der schwarze Fluss glitzerte verheißungsvoll.

Er begann erst den Campinghocker zu entfalten, als der Schwimmer schon im Wasser seine Schneise zog.

Er zündete sich ein Pfeifchen an und sah und hörte skeptisch zu, was das Land um ihn herum so trieb.

Als ihm kalt wurde, trank er eine Tasse von dem Kaffee aus seiner Thermoflasche.

Tränen stiegen ihm in die Augen.

Er wischte sie weg. Immer noch kein Fisch.

Nach einer Stunde biss ein Fisch an. Es war ein sehr kleiner Fisch, der ihn kalt und hämisch anzulächeln schien.

Ohne Rücksicht auf diesen Eindruck warf er ihn mitleidig zurück in den Fluss. Außerdem wäre es gerecht gewesen, hätte der Fisch ihn wirklich so angeschaut, dachte er schweigend, als sich der kleine Mickerling im Schwarz verlor.

Es hatte keinen Sinn. Er ging nach Hause.

Er fand ein leeres Haus vor, aber es war ihm schon aufgefallen, dass sein Pick-up irgendwie fehlte.

Ein Riesenfisch schwamm in seinem Kopf herum. Er legte seine kühlen Hände auf sein Gesicht und schloss die Augen.

Hätte es etwas geholfen, hätte er versucht sich die Hand ins Ohr zu rammen, um den Fisch herauszuholen.

Er war ziemlich kaputt, als er den Zettel fand.

"Bin zu meiner Mutter gefahren, warte nicht auf mich!

Guten Appetit."

"So", dachte er sich, "wenn der Fisch nicht zum Teller kommt, kommt der Teller eben zum Fisch!"

Er packte den Teller, lief den Kilometer heulend zum Fluss und schleuderte ihn ins Wasser.

"Bevor der nächste Tag anbricht, schwimmt bestimmt ein toller Fisch über den Teller und ich habe doch recht behalten,

wenn schon alles andere, was ich je gesagt und gemacht habe, offensichtlich ein Fehler war."

Diese Geschichte ging mir durch den Kopf, als ich neulich einen Teller in einem Fluss liegen sah und sich ein Fisch genau diesen Ort ausgesucht hatte, um gegen die Strömung, wie wir es bestimmt alle schon einmal gesehen haben, auf der Stelle zu schwimmen. Fische mit Galgenhumor. 

Wie drollig.

R. J. Storm

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